Gedanken zum 76. weltweiten Holocaust Gedenktag
Shalom,
während ich in die Position des Interims- und stellvertretenden Vorsitzenden des Direktoriums von Yad Vashem eintrete, erahne ich das Gewicht dieser Rolle nicht nur für Yad Vashem, sondern auch darüber hinaus. Ich fühle mich geehrt, die Leitung von Yad Vashem in dieser kritischen Zeit zu übernehmen, und ich fühle mich privilegiert, Teil einer so geschätzten Institution zu sein. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich vorzustellen, mit einigen Hintergrundinformationen zu meiner engen persönlichen Verbindung mit der Geschichte der Shoah.
Ich wurde am 27. Januar 1955 geboren, dem 10. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die sowjetische Rote Armee. Mein verstorbener Vater, David, der im Kampf gegen die Nazis sein Bein verloren hatte, betrachtete meine Geburt als einen Sieg des Lebens. Für ihn war ich der lebende, unwiderlegbare Beweis für das dauerhafte Überleben des jüdischen Volkes und der Errichtung seines Staates aus der Asche der Shoah.
Meine Geburtstage, wie sie von meinen Eltern gefeiert wurden, waren mit Bedeutung aufgeladen. Zum einen backte mir meine Mutter einen mit bunten Kerzen verzierten Geburtstagskuchen, zum anderen zündeten wir Gedenkkerzen an. Die Freude an diesem Tag war durchsetzt von traurigen Kriegsberichten und dem Vermächtnis meines Vaters auf dem Schlachtfeld, das er am großen Tag der Befreiung, der auch mein Geburtstag war, unbedingt bis ins kleinste Detail schildern wollte. Wie um 9:00 Uhr morgens der erste Soldat der Patrouille der Infanteriedivision der Roten Armee die Tore von Auschwitz erreichte, eine halbe Stunde vor dem Einmarsch der gesamten Division, und wie sie schwere Verluste durch die sich zurückziehenden deutschen Kräfte erlitten. Ich kannte die ganze Geschichte des Gefechts auswendig; ich verinnerlichte jedes Wort und bewunderte meinen Vater.
Mein historisches Geburtsdatum, die emotional vielschichtigen Geburtstagsfeiern und die Kriegsgeschichten meines Vaters vermittelten mir schon früh ein Sendungsbewusstsein, eine persönliche moralische Verpflichtung, an den Holocaust zu erinnern und anderen davon zu erzählen. Seitdem hat mich während meiner gesamten Laufbahn im öffentlichen Dienst der Geist meines verwundeten Vaters und die Notwendigkeit meiner Mission begleitet, wie er durch mein Geburtsdatum angedeutet und in zwei Worten zusammengefasst ist: Nie wieder.
Vor fünfzehn Jahren veränderte sich etwas in dieser Welt. Die Vereinten Nationen ernannten den 27. Januar, den Tag, an dem 1945 Auschwitz befreit wurde, zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts. Ein Tag, an dem sich die ganze Welt im Gedenken an die Shoah vereinen sollte, um sich zu erinnern, zu studieren und sich dem Kampf gegen Antisemitismus und Hassverbrechen zu verpflichten. Diese Benennung schmälert nicht die Kraft des ursprünglichen Jahrestages, sondern hat ihm vielmehr eine globale Plattform verschafft, die das Gebot des Holocaust-Gedenkens sogar noch stärkt.
In meiner früheren Position als Generaldirektor der Knesset habe ich es auf mich genommen, die bisher größte Delegation unseres Parlaments nach Polen zu organisieren. Wir begaben uns - 60 Knessetmitglieder, Kabinettsminister und hochrangige Parlamentsbeamte - auf eine Reise des Lebens, um zu erklären: "Wir, Bürger des kraftvollen jüdischen Staates, sind hier, um über dem Tal des Schlachtens und des Todes zu stehen." Während dieses Aufenthalts in Auschwitz-Birkenau beging ich meinen 60. Geburtstag. Vor den Überresten der rauchenden Öfen, vor den Überlebenden - menschliche Glut, die aus dem Feuer des Todes, dem sie gegenübergestanden hatten, aufstieg - stand ich mit gesenktem Kopf und mit großem Stolz, um unser Volk zu repräsentieren, das sich aus dem Inferno erhob und einen glorreichen Staat gründete.
Als man mir vor etwa einem Monat vorschlug, die Position des Interims- und stellvertretenden Vorsitzenden von Yad Vashem, dem Heiligtum des Gedenkens, des Glaubens und der Hoffnung über Generationen hinweg, zu übernehmen, empfand ich dies als eine weitere Dimension der Mission, die mir am Tag meiner Geburt auferlegt wurde. Mit Ehrfurcht habe ich diese Position angenommen, die in diesem Jahr, in dem die gesamte Menschheit mit der entmutigenden, kräftezehrenden und belastenden Pandemie COVID-19 zu kämpfen hat, eine besondere Herausforderung darstellt. Leider ist es auch ein Jahr, in dem Yad Vashem generell für Besucher geschlossen ist und keine großen Gedenkveranstaltungen mit Überlebenden, Staatsoberhäuptern und Würdenträgern durchführen darf, außer virtuelle.
Gerade in dieser Zeit, in einem Jahr ohne Reisen nach Polen, Konferenzen und groß angelegte Zeremonien, bietet sich die Gelegenheit, der jungen TikTok-Generation auf der ganzen Welt die Erinnerung an den Holocaust näher zu bringen. Umfragen zufolge wissen viele von ihnen nicht annähernd genug über Auschwitz und seine Schrecken. Durch digitale Medienplattformen, soziale Netzwerke und Zoom muss und kann der Internationale Holocaust-Gedenktag im Bewusstsein der Welt präsent sein. Es ist wichtig, dass Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter Botschaften des Gedenkens posten, und die Staats- und Regierungschefs der Welt müssen sich verpflichten, nie wieder einen Völkermord zuzulassen. An diesem Tag, dem 27. Januar 2021, da unsere Weltordnung von einem unmenschlichen Virus bedroht wird, der sich hoffentlich in einem frühen Stadium der Eindämmung befindet, müssen wir uns an den Antisemitismus erinnern und ihm entgegentreten - der grausamsten Epidemie des Hasses, die Menschen je begangen haben. Es ist eine Seuche, die zur Ausrottung eines Drittels des gesamten jüdischen Volkes führte. Selbst nach unserer nationalen Wiedergeburt erhebt der Antisemitismus weiterhin sein hässliches Haupt, und wir sind Zeugen seiner schrecklichen Manifestationen, sogar der absurden Beschuldigung an Juden für den Ausbruch von COVID-19.
Ich verspreche im Namen der zweiten Generation von Holocaust-Überlebenden und im Namen zukünftiger Generationen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um Israel zu festigen und unseren Kindern und Enkeln, hier und in der jüdischen Welt, eine Fackel der Erinnerung und des Heldentums weiterzugeben, die niemals ausgelöscht werden kann.
Wenn ich an diesem Punkt meine neue Rolle antrete, bin ich von einem Gefühl der Verantwortung gegenüber Yad Vashem, dem gesamten jüdischen Volk und unserer globalen Gesellschaft erfüllt, die Mission von Yad Vashem weiterzuführen. Dabei werde ich durch die bemerkenswerte Führung und das bleibende Vermächtnis des Vorsitzenden Avner Shalev bestärkt. Gemeinsam mit Ihnen, den treuen Partnern und Unterstützern von Yad Vashem, setze ich mich dafür ein, die Reichweite von Yad Vashem zu erweitern, die jüdische Kontinuität weltweit zu fördern und sicherzustellen, dass die Erinnerung an den Holocaust das jüdische Volk und die Menschheit für immer inspiriert.
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